Die Buchmesse ist – die Aufregung meines Premierentags echot jetzt, spätabends, noch immer in mir – ein Leseparadies, eine Leseoase, ich wage zu sagen: Sie ist der Leseplanet. Ich hab‘ mich fussmarschmässig abgerackert, zwei Hallen habe ich geschafft, insgesamt sechs Stockwerke oder so, und dabei Perlen gefunden. Liebevolle Texte. Weise Texte. Vielschichtige Texte. Unerwartete Texte. Stinkfreche Texte. Und das manchmal in Büchern, die heute – behaupte ich mal genauso frech – niemand ausser mir angerührt hat. Die unsexy aussahen oder halt einfach abseits der grossen Namen platziert waren, rein messehallengeografisch. Abseits der Schwedenkrimis, wo Nicht-Ikea-Köttbullar verteilt wurden, und plötzlich waren da ganz, ganz viele Schwedenkrimifans, die irgendwie nicht so aussahen.
Liechtenstein hat keine Ikea. Aber eine Literaturszene. Vielleicht ist auch das etwas viel behauptet. Aber Liechtenstein hat Literatur. Bringt Literatur hervor. Das wusste ich nicht; nun weiss ich’s. Denn ich kenne nun Hans Jörg Rheinberger. Was für ein Name. Rheinberger. Liechtenstein – ich war ein paarmal dort – besteht aus Bergen und der Hälfte des Rheins (ein paar Fabriken hat es auch noch und Tankstellen und Autos und Autozulassungsschilder, die schwarz statt weiss sind, aber sonst hat es eben vor allem: Berge und den Rhein).
Hans Jörg Rheinberger hat sich bestimmt schon oft gefragt, ob es die Berge dort wirklich braucht. Und warum Liechtenstein eigentlich in der Mitte des Rheins aufhört, wo es sich innerhalb eines Zentimeters in ein Land mit einer ernstzunehmenden Anzahl Quadratkilometern verwandelt, das aber dann nicht mehr Liechtenstein heisst.
Das hat er sich gefragt, ich bin mir sicher, denn: Hans Jörg Rheinberger hinterfragt alles. Und das macht ihn zu einem Autoren, dessen zu Papier gebrachte Gedanken ich weiter erkunden werde; ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, und ich hoffe, er schreibt weiter.
Zwei Gedichte von ihm haben mir besonders gefallen, sie sind im Buch Vers Labor: Ein Protokoll abgedruckt. Das erste geht so:
Kronleuchter
Die meisten Kronleuchter
könnte man
auf den Kopf stellen
sie würden umso heller
leuchten.
Der Elektrizität
wäre es nämlich egal.
Sind doch
die Zeiten der Kerzen
vorbei,
die nur nach oben
flammen.
Reinste Konvention.
Und das zweite so:
So viele Fragen
Warum müssen
im Kurhaus zu Binz
– oh Travel Charme! –
Palmen im Lichthof stehen?
Warum tropische Orchideen
vor dem Spiegel?
Lilien auf den Tischen?
Computer im Foyer?
Warum tragen
die Tischlampen Halsketten?
Warum sitzen die Teelichter
auf einem Glas
voller Kaffeebohnen?
Muscheln auf einem Haufen
Sand wie Marmorkuchen?
Warum gibt es hier Säulen
die nichts tragen
außer fünf Sterne?
Belassen wir es bei der Halle.
So viele Fragen.
Belassen wir es bei der Halle. Ich liebe Sätze, die so sitzen. Genau für solche Sätze bin ich hier, in einer Stadt, die,
Belassen wir es bei der Buchmesse.
Herrlich!
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Das Zitat von Haruki Murakami gefällt mir – hatte ich hier noch gar nicht gesehen :-) Liebe Grüße, Annette
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