Die Erde ist kaputt. Das Ökosystem, wenn es denn diesen Namen noch verdient, will nur noch eines: Den Menschen loswerden. Ihn aus dem System erbrechen.
So, und kein bisschen fröhlicher, schildert T.C. Boyle die Zukunft in Ein Freund der Erde. Nicht die ferne, sondern die nahe, beängstigend nahe Zukunft: das Jahr 2025.
Die Handlung ist schnell erzählt:
Regen, Wind, Sturm.
Smog, Verwüstung, Überschwemmung.
Abholzung, Abholzung, Abholzung, natürlich auch Brandrodung.
Noch mehr Smog, noch mehr Stürme, Wasser überall.
Mittendrin in dem Schlamassel: Der Protagonist, Tyron Tierwater. Er versucht zu retten, was für ihn zu retten ist. Seine Hyäne, seine Löwen, seine anderen Tiere. Er lebt irgendwo in Kalifornien – auf der Privatranch eines gealterten Popstars -, aber wo er lebt, spielt eigentlich keine Rolle mehr, es ist eh kaum mehr ein richtiges Leben. Und dann taucht plötzlich Andrea auf, Tyrons Exfrau.
Ausgerechnet die Ex, und das in diesem apokalyptischen Moment. Tyron erinnert sich – ausführlich – ans Jahr 1989: Damals lernte er Andrea kennen. Zuvor ein unauffälliger Typ, liess sich von ihr radikalisieren. Man war gegen die Abholzung der Wälder an der US-Westküste; plötzlich hiess es in seinem Leben: Protestieren um jeden Preis! Der Preis war ein hoher für Tyron: Er verlor Schritt für Schritt seine Identität, und mehr als das. Der Umweltschützer wurde zum Staatsfeind, und so hat Tyron mehr Zeit in Gefängnissen als in der geliebten Natur verbracht.
Was hat sein Kampf der Welt gebracht? Wie sich nun, im Jahr 2025, zeigt: Genau nichts.
Warum soll man das lesen?
Weil T. C. Boyle – sprachmächtig wie man es von ihm kennt – immer wieder Bilder findet, die der Tragik trotzen. Bilder, mit denen er die Apokalypse auf die Schippe nimmt. Inmitten all des Wassers, all der Überschwemmungen, liest man da über eine Frau, sie habe ein Lachen, als würde jemand eine Katze ertränken.
Inmitten all des Regens gibt es noch sonnengebräunte Frauen, und über die heisst es: Ihre Arme und Beine waren braun wie Eistee.
Das hat man – oder habe ich zumindest – so noch nie gelesen; Boyles Sprache trägt die dünne Handlung weiter und weiter.
Klar: Die Sprache allein kann eines nicht aufhalten: In Boyles tristem Jahr 2025 härtet der Leser/die Leserin immer mehr ab, Seite für Seite. Wozu will uns Tyron noch seine Geschichte erzählen, wenn eh alles verloren ist? Auch er lässt zuweilen durchschimmern, dass er am liebsten all das vergessen würde. Dass er jetzt, im hohen Alter, etwas sucht, das er nie richtig gefunden hat. Etwas wie Normalität:
Ich sehe Gesichter, die so zerfurcht und verrunzelt sind wie die Strasse, die hierherführt, triefende Augen, schlaffe Kinnladen, aus Ohren und Nasenlöchern wachsen Sträusse von nikotinfarbenem Haar – wir sind unter unseresgleichen, endlich.
Doch er ist und bleibt ein Kämpfer. Abgehärtet, wie seine Leser es bald sind, war Tyron schon vor Jahrzehnten. Das zeigt sich immer wieder in kurzen Rückblenden. Die Pubertät seiner Tocher beispielsweise: Hat ihn nicht interessiert. Er wusste ja schon, wie das ablaufen würde:
«Sie wird zur Schule gehen, etwas über die Westgoten und die Primzahlen lernen, abends abtanzen, sich eine neue Schar von üblen Freunden suchen, mit Dope und Alkohol herumexperimentieren, sich für gemütsarme Bands begeistern, über Fleischesser debattieren, revoltieren und widerrufen, sich zum zweitenmal einen Nasenring einsetzen lassen und im Cabrio hundertachzig fahren.»
Die Menschheit hat – oder hätte eigentlich – wichtigere Probleme, findet Tyron. Als ihm das Waten auf meinen Altmännerbeinen durch den Weltuntergangsschlamm längst weh tut, watet er weiter. Er will seine Tiere retten, sie an einen trockenen Ort bringen, im Idealfall ein Weiblein und ein Männlein, dann könnten sie sich, wenn’s gut läuft, kurz vor dem drohenden Aussterben doch noch vermehren (war da nicht mal was?).
Ja, da war mal was. Aber religiös ist Tyron nicht – das hat er von seinem Vater:
Mein Vater und ich hatten nie Diskussionen der Sorte: «Wenn Gott so gut und weise und allmächtig ist, wieso hat er dann die Zecke und den Bandwurm erschaffen und Millionen von Juden in den Öfen sterben lassen?» Für ihn gab es keinen Gott ausser der Wissenschaft.
Denn während die Mutter zur Kirche ging, arbeitete der Vater als Architekt.
Und wie baut man eine Wohnhaussiedlung? Mit Hilfe und Anleitung Gottes? Mit Weihrauch und Zauberei? Mit dem Beistand der Engel? Nein. Man baut sie mit Hilfe von rechten Winkeln und wirklichen Dingen, konkreten Dingen – Dingen, die der Mensch selbst erzeugt oder sich zunutze macht in diesem abweisenden, fremden, gottlosen Universum, das existiert, weil es eben existiert, aus keinem anderen erkennbaren Grund.
Also rettet Tyron die Tiere, die existieren, weil sie eben existieren – und ihm wichtig sind, weil sie ihm eben wichtig sind. Und wenn ihm, dem Abgehärteten, dabei ein Missgeschick unterläuft, wenn ihn eine Patagonische Füchsin vor lauter Panik beisst und übel zurichtet, dann geht er halt ins Spital: 32 Stiche und ein halber Kilometer Verbandgaze, und dann weitermachen, wo man aufgehört hat. Weil der Mensch immer so weiterfährt, wie er meint, zu müssen. Weil er vielleicht – und darauf deutet bei Boyle alles hin – gar nicht anders kann.
T.C. Boyle, Ein Freund der Erde, 2003, 356 Seiten, dtv.