Das schlechte Gummibärchen

University of Manchester, das klingt einigermassen seriös. Forscher von dort haben letzte Woche eine Studie veröffentlicht. Sie beweist: Umzüge sind für Kinder schrecklich. Vielleicht merken sie das nicht, wenn sie noch ein Kind sind. Aber die Tatsache, umgezogen zu sein, schlummert in ihnen. Wacht irgendwann auf. Streckt sich. Windet sich. Zappelt. Boxt. Tritt. Mit jedem Umzug im Kindesalter erhöht sich das Risiko, als Erwachsener verhaltensauffällig, psychisch krank oder drogenabhängig zu werden. Was die Forscher da behaupten, macht mir ein bisschen Angst.

Eigentlich bin ich kaum vorbelastet, sage ich mir zur Beruhigung. Bei meinem einzigen Umzug im Kindesalter war ich ein halbjähriger, unschuldig vor mich hin staunender, in Stoffwindeln eingepackter Säugling. Freunde, die ich hätte verlassen müssen, hatte ich noch nicht. Die alte Wohnung? Kenne ich von einem einzigen Foto: Die Vorhänge darauf sind die gleichen, die wir danach in der neuen Wohnung hatten. That’s it. Keine Ahnung, wie mir das hätte schaden sollen.

Mein heutiges Verhalten ist denn auch nicht besonders auffällig. Ausser wenn ich umziehen muss. Dann verhalte ich mich so, dass die Menschen an der University of Manchester, hätten sie die Gelegenheit, mich zu beobachten, sagen würden: Eben, genau das meinen wir.

Ich: Warum willst du das Sofa ausgerechnet an diese Wand stellen?

Wohnpartnerin: Das ist nur provisorisch.

Provisorisch für wie lange?

Bis wir sehen, was am besten ist.

So ist es auf jeden Fall nicht am besten, das kann ich dir jetzt schon sagen.

Lass uns zuerst den Rest ins Wohzimmer holen, die Kisten, das Büchergestell…

Wie willst du dann das Sofa noch drehen?

Vielleicht müssen wir es ja gar nicht drehen.

Willst du ernsthaft die ganze Zeit, die ganzen Jahre, den Korridor im Rücken haben? Willst du nicht sehen, wer reinkommt? Willst du behaupten, so fühlst du dich wohl?

Das weiss ich noch nicht.

Beantworte meine Frage. Willst du behaupten, so kannst du dich hier wohlfühlen? Und meinst du, dem Sofa tut es gut, direkt an der Heizung zu stehen? Und da dir das offenbar egal ist, meinst du, unserer Heizkostenabrechnnung tut es gut? Wenn sich die ganze Wärme von der Heizung nicht im Raum verteilen kann, der übrigens jetzt schon, nach fünf Minuten, ein fürchterlich entstellter Raum ist, sondern vom wärmegierigen Sofa aufgesaugt wird, während du freiwillig frierst und zitterst, auf deinem Scheisssofa mit dem Korridor im Rücken?

Also, komm, wir drehen es und schauen, wie es aussieht.

So kannst du es nicht drehen, du musst andersherum. Pass auf meine Zehen auf, gopfertamisiech. Okay. So ist gut. Genau so habe ich mir das vorgestellt. Viel besser! Die Heizung frei, der Korridor schön im Augenwinkel, der Fernseher kommt unauffällig dort drüben hin. Perfekt.

So ist mir nicht wohl.

Doch, so ist besser.

Nein.

Wir lassen es so. Provisorisch.

Nein.

Weisst du was? Ich werde nie in diesem Wohnzimmer sitzen, weil ich mich so nicht wohlfühlen werde, weder provisorisch noch sonst irgendwie. Kein Mensch kann sich hier wohlfühlen, aber klar, ihr müsst ja nicht auf mich schauen, macht mit mir, was ihr wollt, macht euch eure Korridor-im-Rücken-Wohnung, heizt eure Möbel an, leckt mich alle am Arsch!

So ist es, mit mir umzuziehen. Wenn ich anderen beim Umziehen helfe, stänkere ich pausenlos übers Umziehen. Ich werde recht selten zum Helfen aufgeboten, merke ich gerade. Ich bin darüber froh, empfinde aber auch immer aufrichtiges Mitleid mit den Umziehenmüssenden.

Und ich empfinde sehr, sehr viel Mitleid mit Luna. Luna ist ein Mädchen, das in einer CD lebt, in einem Hörbuch, es heisst Luna und der… (Den Rest des Titels darf ich nicht verraten, das muss warten, provisorisch.) Luna muss umziehen, ihre Eltern wollen das so.

Luna, das merkte ich beim Hören sofort, hasst das Umziehen. Sie hat recht. Und – ich wiederhole es gern – sie tut mir leid. Luna muss dann auch tatsächlich ziemlich untendurch, ihr Kuscheltier Ninchen ist in irgendeiner Kiste verstaut, was für einige Tage oder Wochen gleichbedeutend ist mit: verloren.

Aber verhaltensauffällig wird Luna als Erwachsene vermutlich nicht werden, denn Luna hat beim Umzug mehr Glück als ich, deutlich mehr. Lunas Umzug beginnt damit, dass sie eine Kartonkiste öffnet, in der es merkwürdig raschelt und murmelt:

Luna: Wer bist du denn, und woher kommst du, und du redest ja! Und was machst du in meinem Karton? Und was für ein Tier bist du eigentlich? Du siehst aus wie ein Bär! Oder wie eine Katze? Und wie heisst du?

Kuscheltier im Umzugskarton, das sie noch nie gesehen hat und das sprechen kann:
Ich heisse natürlich Karlo.

Karlo? Na gut. Aber was bist du denn nun für ein Tier?

Du weisst nicht, was für ein Tier ich bin?

Nein, leider nicht.

Ich gebe dir einen Tipp. Es ist ganz einfach. Ich bin das tollste Tier überhaupt.

Hm. Jetzt weiss ich’s. Du warst neulich im Kinderfernsehen!

Siehst du? So toll bin ich. Sogar im Fernsehen zeigen sie Katzenbären.

Ach ja, ein Katzenbär bist du, genau! Ich hatte es nur zufällig ganz kurz vergessen…

Kurz vergessen? Soso. Du bist eben ein Kind. Kinder merken sich nie, was wichtig ist.

Ich merke mir immer ganz viel Wichtiges! Magst du etwa keine Kinder?

Eigentlich vielleicht schon. Ich finde nur, es gibt so viele Kinder. Und deshalb immer zu wenig Gummibärchen.

Aha! Du hast also alle meine Gummibärchen gegessen… Und mir nicht mal ein einziges übrig gelassen…

Also, wenn es dich tröstet, eines der Gummibärchen war nicht mehr gut. Eines der grünen.

Spätestens nach dieser charmanten Ausrede wusste ich: Um Luna muss ich mir keine Sorgen mehr machen. Karlo hat die Situation Umzug voll im Griff!

 

Udo Weigelt: Luna und der Katzenbär, Band 1 & 2. Zirka 47 Minuten, empfohlen ab 4 Jahren. Erschienen bei CBJ Audio, 2016.

12 Gedanken zu “Das schlechte Gummibärchen

  1. Ach das Umziehen im Kindesalter soll schädigend sein – papperlapapp – ich bin als Kind öfters umgezogen – hat mich nicht gestresst, ABER die Erfahrung als Erwachsene mit Mann, Kindern und Kegel umzuziehen – das war hart 😂

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  2. Wieder herrlich erfrischend geschrieben. Mein Umzug, der auch schon mehr als zwei Jahre zurückliegt, ist nicht so „problematisch“ verlaufen. Ich hatte zum Glück keinen Wohnpartner, mit dem ich über die Anordnung der Möbel diskutieren musste… das gehört zum Vorteil eines Single-Daseins ;-)

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    1. Hmm, in meinem Kindesalter habe ich mit meinen Eltern einmal umziehen müssen. Aber ich erinnere mich an keine bleibenden Schäden, nur dass mein Papa während des Umzuges extrem verkühlt war. (Ist aber auch schon fast 30 Jahre her – schei… (Das „sch“ gehört Dir!), bin ich alt!)

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