Er heisst Aufschwung, Hüftaufschwung, Felgaufzug oder einfach Aufzug. Er sollte am Reck stattfinden, aber ich schaffte ihn nie. Hatte Angst vor der Drehung. Angst davor, die Kontrolle über meine körperliche Positionierung im Raum, über das, was mit mir geschieht, für eine knappe Sekunde abzugeben und die Physik machen zu lassen. Ich und der Aufzug am Reck, das ging nicht. Einer verstand das nicht: mein Sportlehrer.
Er trug den Vornamen Premysl, was mir ein seltener Vorname zu sein schien, wobei ich zugegebenermassen nie eine Vornamenstatistik aus der Tschechoslowakei gesehen habe, denn dorther stammte er, unser Premysl, der mich immer donnerstags an Waden und Schultern und manchmal auch an den Arschbacken packte und unterm Reck durchschwang, hoch in die Stützposition – wenigstens diese beherrschte ich.
Nach etwa 20 Wochen am Reck gingen wir jeweils für eine Sportlektion ins Hallenbad, um zu schwimmen. Das konnte ich besser als alle anderen in meiner Klasse, und vielleicht besser als Premysl sogar, und es rettete mir jeweils die sportliche Vier im Zeugnis.
Daran habe ich gedacht, als ich kürzlich, als längst Ü-30-Jähriger, das Kinder-Hörbuch Minus Drei geht baden gehört habe. Minus Drei, so heisst der Dinosaurier – auch das ein seltener Name, auch wenn ich zugegebenermassen nie eine Namensstatistik von Dinosauriern… Von ihm handelt die Geschichte, und der Ärmste leidet darunter, dass sich dort, wo er woht, nämlich irgendwo hinter dem zweiten Vulkan links (es wird im Hörbuch genauer beschrieben), ein See gebildet hat. Dort gehen jetzt all seine Freunde baden, jeden Tag, und alle finden es super, aber Minus Drei gar nicht.
Minus drei kann nicht schwimmen. Das ist ihm peinlich, also versucht er, dieses Manko so gut es geht zu verschleiern, den See zu meiden, oder zumindest – genau andersherum als ich damals – mit etwas anderem zu glänzen als mit Schwimmen.
Ich gönne es Minus Drei, dass er nicht lange leiden muss; er hat dreifaches Glück:
Erstens kann er so gut mit Sand umgehen, dass seine Skulptur in einem Wettbewerb preisgekrönt wird.
Zweitens hat er ein liebes Haustier, das lustigerweise ein Mensch ist, nämlich ein Höhlenmädchen.
Drittens springt dieses Höhlenmädchen irgendwann ins Wasser, wird von der Strömung davongetrieben, und Minus Drei schwimmt ihm nach und rettet es. Tatsächlich, er schwimmt, es geht wie von selber. Weil er nicht überlegt, wie man schwimmt. Sondern es einfach macht.
Hab‘ ich auch versucht, am Reck, nicht nachzudenken… Hat aber nicht geklappt.
Ute Krause: Minus Drei geht baden. Kinder-Hörbuch, 37 Minuten, empfohlen ab 5 Jahren, erschienen bei CBJ Audio, 2016.
Auch ein Hörbuch, aber ohne Dinosaurier, ist dieses hier.
Brrrrr… Sportunterricht. Ich konnte nie nachvollziehen, warum dafür Schulnoten vergeben wurden. Eine Teilnahmebestätigung hätte doch gereicht ;-)
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Die Minus-Drei-Rezension ist sehr schön, toll eingebunden in das eigene Erleben. Meine schwierigste Übung, die ich gerade noch so beherrschte, war übrigens der Weg in die Turnhalle. Ab Umziehen ging nichts mehr.
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Kein Wunder, sind wir beim Schreiben gelandet!
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oh je , auch mir fehlte immer die dino-mentalität …. hab aber trotzdem bis heute überlebt .. :-)
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Wunderbar geschrieben!
Minus 3 ist übrigens in der Tat ein seltener Dinosaurier-Name. Habe meinen Buben gefragt.
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Jungs sind Experten, danke fürs Nachfragen. Meiner redet leider noch nicht.
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:-)….einfach schön….wenn ich über den Bock springen musste, ging das super, bis ich immer oben das Denken anfing und dann runtergeplumst bin….physikalisch eigentlich nicht erklärlich…:-)
LG Ottiöie
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Herrlich! 😄 Ich war an den Turngeräten, um es bescheiden auszudrücken quasi ein Vollprofi, aber tauchen, nein tauchen ging GAR nicht
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Jetzt weisst du, dass du eher der Dino-Typ bist… Es gibt für alles eine Erklärung.
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😂
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Oh ja. Vor dem Stufenbarren hatte ich auch richtig Schiss! Bis auf Liegestütze, Boxen und Langlauf war ich im Sport keine große Leuchte :)
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Ihr habt geboxt? So richtig?
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Ja. 7. oder 8. Klasse, jedenfalls noch vor der politischen Wende! War eher mittelmäßig. Schwimmen hat mir Spaß gemacht, war da einer der Besten. Auf den Schlittschuhen war ich eine Katastrophe.
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Sieh an, wie sich die Erinnerungen gleichen – ich habe am Stufenbarren gar jämmerlich versagt, eben weil ich auch viel zu viel nachgedacht habe. Ich dachte immer: „Wenn ich jetzt den Absprung mit der Drehung kopfüber vom hohen Barren über den niederen Barren mache, und falsch greife, und abstürze, dann könnte ich mir vielleicht das Genick brechen – und ich will nicht sterben, ich bin doch noch so jung!“ ;-)
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Es ist klug, in Krisensituationen wie dem Sportunterricht über den Tod nachzudenken und sich entsprechend zu verhalten. Hinterher nützt’s nichts mehr.
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