Mein Sexproblem und der Allmächtige

Ich war in Not. Und in meiner Not wandte ich mich an einen, von dem ich dachte, er könne sie wohl am ehesten nachvollziehen: die Wörternot, der man sich ausliefert, wenn man mit Buchstaben spielt. Ich wandte mich an meinen Lieblingskolumnisten, an einen Mann, der sich im Magazin des Zürcher Tages-Anzeigers schon öfters als Connaisseur der Materie beschrieben hat. Ich mailte:

Geschätzter Scrabblemeister Max Küng

Es geht nicht mehr anders: Ich muss Dich kurz vom Selberscrabbeln abhalten und Dich bitten, einen Wiedereinsteiger zu beraten. Meine Scrabblelust steht auf dem Spiel, und vielleicht meine Ehe sogar.

Neulich haben wir, meine Frau und ich, das alte Scrabblebrett aus dem Keller geholt – ganz unten in der Spielekiste hatte es gelegen -, es feierlich auf den Küchentisch gelegt, und dann ging sie los, unsere erste gemeisame Partie.

Ich erzähle nun im Zeitraffer, denn so eine Scrabbelei dauert ewig, nimmt man sie ernst. Und wir nahmen sie ernst, sehr ernst.
Wir hatten beide unsere Erfolgserlebnisse: zuerst sie, sie legte ein Ä an einem strategisch guten Ort. Dann ich ein Y mit doppeltem Buchstabenwert, dann sie ein X, ihr Wort hiess SEX.

Irgendwann, es ging gegen Mitternacht, war das Brett fast voll, und es war einfacher, bei einem Wort noch etwas anzusetzen, als ein neues irgendwo reinzuzwängen. Unter SEX (er fand senkrecht statt auf dem Scrabblebrett) gab es ein freies Feld, darunter stand INS. So kam der verhängnisvolle Moment, als ich aus meinen Buchstabensteinen das Sorgenkind herausgriff, das Z, und den SEXZINS ins Leben rief – korrekter ausgedrückt: ins Leben legte.

Meine Frau brach das Spiel ab, unter Protest. Dabei war sie es gewesen, die kurz zuvor noch HERZEEG gelegt hatte. Wäre es das komplette Wort, ELEKTROENZEPHALOGRAFIE, gewesen: meinetwegen. Aber EEG…

Das ist eine Woche her. Gescrabbelt haben wir nicht mehr seither. Sie fühlt sich im Recht, SEXZINS stehe nicht im Duden, sagt sie, und das stimmt. Aber sie sagt auch – und das macht mich fuchsteufelswild – einen SEXZINS gebe es nicht.

Wie stehst Du dazu: Wenn während des aufwändigen Denkprozesses einer Scrabble-Partie ein Wort geschöpft wird, das ein gesellschaftliches Vorkommnis treffend beschreibt, so treffend vielleicht, dass ein dereinstiger Duden-Eintrag als nicht gänzlich undenkbar eingeschätzt werden muss: Gilt dieses Wort dann?

Und die weniger scrabblesprachphilosophische, dafür aber wichtigere Frage: Denkst Du, dass Weiterscrabbeln unserer Beziehung gut täte? Oder sollen wir Scrabble in den Keller zurückbringen und das Yahtzee mit raufnehmen?

Besten Dank für Deine Zeit – und Deinen allfälligen Rat.

Liebe Grüsse,
Marc Kipfer

Einige Tage vergingen ratlos. Bis ein Elektroskriptum auf dem Schreibplaneten eintraf. Es enthielt die folgenden Zeilen:

lieber marc

deine geschichte erinnert mich an einen film, ich weiss bloss nicht welchen – oder ob es ihn überhaupt gibt. aber es ist eine schöne szene und ELEKTROENZEPHALOGRAFIE ist ein tolles wort.
ich spiele ja nicht mit meiner frau. sie ist gegen brettspiele aller art.
und sonst gilt im scrabble der duden. der ist das gesetz. für alle wörter jenseits des dudens gelten individuell vereinbarte gesetze. ich beschränke mich manchmal auf spezielle partien, in welchen beispielsweise bloss geographische begriffe gültigkeit haben. Oder bloss wörter mit drei buchstaben.
aber grundsätzlich gilt, was laut duden gilt.
er ist quasi der allmächtige.
ich hoffe sehr, ihr findet den RANK!
liebergruss
max

 

Das hoffe ich auch. Aber zuerst will ich diesen Film sehen. Falls es ihn gibt.

 

6 Gedanken zu “Mein Sexproblem und der Allmächtige

  1. Pingback: Der Schreibplanet
  2. Frau Freitag scrabblet oder scrabblet auch nicht. Das ist in ihrem Fall nebensächlich und vernachlässigbar. Aber sie beantwortet Fragen jeglicher couleur. Mal kurz und sec (und auch mal brut), dann mal länger. Ironie kann sie, echte Anteilnahme aber auch.
    Am besten schaust du mal Beiträge von ihr an.

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